Werte zwischen Tradition und Neuem Denken

Ein Gastbeitrag von:
Dr. Ursula Grooterhorst, Rechtsanwältin und Mediatorin,
Eversheds Sutherland (Germany) LLP externer link zu eversheds sutherland , Düsseldorf

GERMAN COUNCIL Magazin, Standpunkte,
GCM, Ausgabe 05/2017, Seite 64

Traditionelle Werte im neuen Führungsstil? Die Diskussion über das »Neue Denken«, das Werte in den Mittelpunkt rückt, veranlasst auch zur Revision von Führung in Unternehmen. Das wirft die Frage auf, ob damit neue Werte entstehen und ob die traditionellen Werte ausgedient haben.

Warum muss Führung neu gedacht werden und wie muss sie gedacht werden? Führung muss neu gedacht werden, da wir in einer disruptiven Welt leben, die die Wirtschaft erschüttert. Disruption ist ein Prozess, bei dem ein bestehendes Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst beziehungsweise »zerschlagen« wird.

Gründe, die einen Wandel einfordern, nach Veränderung rufen und Neues Denken erfordern, liegen in der starken Vernetzung der Systeme. Alle sind voneinander abhängig. Die Wirtschaft ist so komplex geworden, dass wir nicht wissen, wo sich Dinge auswirken, wie die Wirkung des einzelnen Handelns, aber auch die Wirkung der Digitalisierung ist. Monokultur, wie Altherrenkreise in Vorstand oder Aufsichtsrat von Gesellschaften, ist nicht mehr sensibel für notwendige Neuerungen. Sich aufs Kerngeschäft zu reduzieren, kann dazu führen, dass übersehen wird, dass Produkte obsolet werden. Monolithische Strukturen erzeugen Angst, etwas zu thematisieren, und lassen kritische Dinge, die Weiterentwicklung bedingen, nicht zu. Katastrophen führen zu plötzlichem Richtungswechsel. Jährliche Worst-Case-Szenarien reichen nicht mehr aus. Unternehmen sind in eine Politik eingebettet, die unberechenbar geworden ist. Neue Geschäftsmodelle werden als Bedrohung empfunden, weil sich nicht absehen lässt, ob sie auf Dauer erfolgreich sein werden, eine Reaktion darauf aber sofort erfolgen muss.

Was also muss Führungskräfte in der veränderten Welt legitimieren? Das ist zunächst einmal ein Wissen, das ständig aktualisiert werden muss. Life-long-learning ist Pflicht, da die Halbwertzeit von Wissen rasant abgenommen hat. Aber Wissen allein ist outdated. Hinzukommen muss, dass Führungskräfte Werte vorleben und Vorbild sind, dem andere folgen wollen.

Und welche Überlebensstrategie gibt es für Unternehmen? Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens ist das Hinterfragen der Führungskultur, das Wachbleiben auch bei Erfolg, die Investition in Mitarbeiter. Das Potenzial liegt nicht nur im Wissen der einzelnen Mitarbeiter, sondern im Zusammenbringen des Wissens. Zusammenarbeit und Interaktion sind gefragt. Führung muss dialogisch sein und die Mitarbeiter einbeziehen; ein Ideenmanagement muss betrieben werden.

Unternehmen dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass die Mitarbeiter in Zeiten der Vollbeschäftigung in eine Machtposition gelangt sind. Da sie keine Angst vor Jobverlust haben, können sie die Arbeitsbedingungen definieren. Die Demokratisierung des Arbeitslebens wird gefordert; der Einfluss des Individuums nimmt zu. Darüber hinaus sind die einzelnen Lebensphasen des Mitarbeiters diversifizierter geworden. Dies muss ein Unternehmen erkennen, um mit den Mitarbeitern und deren ständig wechselnden Bedürfnissen verbunden zu bleiben. Aber wie bleiben sie verbunden?

Einerseits müssen Mitarbeiter Umsetzer sowie Gestalter sein dürfen. Ideen einbringen zu können, muss auch jungen Leuten erlaubt sein. Andererseits müssen Organisationen / Unternehmen Steuerer wie auch Selbstorganisierer sein dürfen. Erst durch eine Kombination der vier Attribute kann ein gutes Team entstehen.

Für die Verbindung zwischen Individuum und Organisation bedarf es der Führung. Um ein agiles Netzwerk im Unternehmen zu erzeugen, ist nicht zwingend ein demokratisches Element erforderlich, wohl aber Partizipation. Agilität bedeutet eine flache Hierarchie, die Führung als Dienstleistung auf Augenhöhe betrachtet. Die Haltung zu agiler Führung muss vom Unternehmen gefördert werden. Ziel ist es, alle Mitarbeiter einzubinden und die Potenziale aller zu nutzen. Dazu gehört es, Situationen zu schaffen, in denen kritische Aussagen möglich werden. Dazu gehört vor allem, Mitarbeitern die Angst zu nehmen, sich zu äußern. Dies geschieht zu allererst, indem Partizipation ernst genommen wird. Auf diese Art und Weise kann sich die Persönlichkeit des Einzelnen weiterentwickeln, was wiederum dem Unternehmen zugutekommt.

Es entspricht der Realität, dass Führung Störungen erfährt. Wichtig ist, wie damit umgegangen wird. Führung braucht Störungen, die nicht entzweien, sondern die als kreative Unruhe empfunden werden, um sich ständig neu zu organisieren, um wiederum neuen Entwicklungen Rechnung tragen zu können. Dazu gehört es, Vielfalt zuzulassen, nicht demokratisch zu diskutieren, sondern agil, das heißt dem Anderen und seiner Meinung Respekt entgegenzubringen, damit alle gemeinsam dem Unternehmensziel dienen. Dafür ist es unabdingbar und liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, dass er für sich die Frage beantwortet, wie er das Unternehmensziel gemeinsam mit den anderen Mitarbeitern umsetzen will.

Neues Denken, das in einem neuen Führungsstil zum Ausdruck kommt, widerspricht zwar einem zur Gewohnheit gewordenen alten Führungsstil. Durch das Neue Denken entstehen jedoch nicht neue Wertvorstellungen. Es findet vielmehr eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte statt, die der alte Führungsstil nicht mehr widerspiegelt. Den Anderen wahrzunehmen, ihm zuzuhören, die Meinung des Anderen zu respektieren und ihn verstehen zu wollen, rückt traditionelle Werte wieder in den Fokus. Die Einhaltung dieser Werte, welche die Basis jahrhundertealter Umgangsregeln bilden, dient dazu, ein gemeinsames Unternehmensziel zu erreichen, indem Verbundenheit statt Trennung geschaffen wird. Es entspricht der Eigenart von Werten, dass sie wertbeständig sind, so dass sich Tradition und Neues Denken in gelebten Werten vereinigen.

Externer Download, German Council

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